Ortsverein Bonn-Holzlar-Hoholz
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Welche Alternative für Deutschland?

Am 24. Oktober 2017 wurde die AFD, die sich als Alternative für Deutschland bezeichnet, mit 27% der Wahlstimmen stärkste Partei in Sachsen, kam aber auch im Westen auf etwa 10%. Nun geloben wieder alle anderen Parteien, sich inhaltlich mit dieser Partei auseinanderzusetzen.

 

Manche meinen, es reiche, die AFD als Nazi-Partei zu beschimpfen, weil in der Tat einige Sprecher in Wortwahl und auch Inhalten Nazi-Erinnerungen wecken.
Trotz solcher Äußerungen und fehlender Distanzierung durch andere Funktionäre der Partei, ist bei der AFD keine Neigung zu Völkermord und Kriegsverbrechen zu beobachten. Allerdings knüpft die Partei mit einem radikalen Konservativismus an alte Zeiten an, die die westliche Mehrheitsgesellschaft hinter sich gelassen hat und von der sie irrigerweise meinte, sie seien überall und von allen überwunden.

Man kann davon ausgehen, dass die PIS in Polen die Blaupause bietet,
nach der auch eine AFD regieren würde – lediglich weniger erz-katholisch.
Was ist da aufgebrochen?


Die Gesellschaften im Westen Europas haben sich seit dem 2. Weltkrieg sehr verändert; sie sind sehr viel liberaler geworden und haben alte Haltungen und Einschätzungen revidiert. Im Mittelpunkt steht bei den modernen Bürgern das Recht eines Individuums, so zu sein, wie es will, solange niemand daran Schaden nimmt. In der deutschen Gesellschaft ist das überdeutlich an der geänderten Sexualmoral und dem  orherrschenden Familienbild ablesbar. Die wirtschaftliche Öffnung der westlichen Gesellschaften und die neue Weltläufigkeit großer Teile der Bevölkerung, und sei es nur als Touristen, hat viele überzeugt, dass andere
anders sind und anders bleiben dürfen.


Diese Entwicklung hat erfreulicherweise in weiten Kreisen eine menschliche
Ureigenschaft überwunden, die Fremdenfeindlichkeit oder Xenophobie. Hat man in den Stammesgesellschaften den Fremden zuerst als potentiellen Feind gesehen, der oft prophylaktisch erschlagen wurde, haben Staaten über Jahrtausende Nachbarvölker nicht nur nach Laune überfallen, sondern auch vernichtet. Nicht nur das Alte Testament der Bibel zeigt die Selbstverständlichkeit, Fremde als Feinde zu betrachten und ggf. zu vernichten – oft auf „Gottes Geheiß“.


Später, zunehmend über die letzten 2 Jahrtausende, gab es zwar zwischen
verschiedenen Staaten und Völkern zunehmende Kontakte der jeweiligen Eliten, die Masse der Bevölkerungen blieb aber unter sich, geeint durch gemeinsame Sprache und Herrscherhäuser. Noch vor 100 Jahren waren Englisch oder Französisch für den deutschen Schüler ebenso tote Sprachen wie Latein und Alt-Griechisch.
Auch im (West-)Deutschland der letzten Jahrzehnte war Xenophobie nicht
unbekannt: da waren zunächst die deutschen Flüchtlinge aus dem Nachkriegs-Polen und der CSSR, die erhebliche Ablehnung und Diskriminierung erfahren mussten, dann die „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien und Jugoslawien, schließlich die Türken sowie die „Volks- deutschen“, die in den 90er Jahren aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken kamen.
Die Befreiung der Menschen von den alt-hergebrachten Regeln, den Einzelnen unbegründbaren Normen zu unterwerfen, war und ist eine große kulturelle Leistung, die jeden Einzelnen forderte, aber auch viele überfordert!

Meine Schulfreunde und ich selbst hielten selbstverständlich noch in den frühen 60er Jahren Homosexualität für abnorm und für zu Recht verboten. Man lernte zwar schon, dass „Neger“ den „Weißen“ gleichwertig seien, aber diese aus heutiger Sicht Selbstverständlichkeit wirklich zu verinnerlichen, war wiederum Kampf mit sich selbst, mit den tief sitzenden Vorurteilen.
Diesen Kampf haben in meiner Generation im Westen viele gekämpft und gewonnen; sie wollen Einschränkungen der individuellen Freiheit nur mehr anerkennen, wenn es anderen nicht unangemessen schadet. So wurden Verbote abgeschafft, Rechtsstaatlichkeit bis zur Überlastung der Gerichte geübt und ein Datenschutzregime geschaffen, das vielen zu viel Täterschutz enthält.


Ich rufe diese Entwicklung und den Kampf um Toleranz und Liberalität in Erinnerung, weil wir wie selbstverständlich unterstellen, dass alle unsere Mitbürger zeitgleich dieselbe Entwicklung in und an sich vollzogen haben. 15% Wahlzustimmung für die AFD in Baden-Württemberg zeigen, dass diese Annahme falsch war. 27% in Sachsen und die Pegida-Demon-

strationen vor allem im Osten zeigen, dass in der ehemaligen DDR seit 1945 45 Jahre ohne vergleichbare Lern- und Entwicklungseffekte stattgefunden haben. In einer ähnlichen Situation befinden sich auch die oben erwähnten „Volksdeutschen“ aus der ehemaligen Sowjetunion; auch sie sollen weit überproportional AFD gewählt haben.


In der Euphorie der Vereinigung Deutschlands 1989/90 war von diesen Differenzen in der Tiefe der Gesellschaften nichts zu spüren. Die dem DDR-Regime Nahestehenden gingen entweder in Deckung oder sammelten sich hinter einer PDS-Partei, die sich superdemokratisch gab. Diejenigen, die eher auf der Opferseite gestanden hatten, waren voller Hoffnung, dass nun alles rasch besser würde.


Zwar entstanden da und dort Kohls „blühende Landschaften“ (gerade in
Sachsen!), aber die strukturellen Defizite der DDR-Wirtschaft waren viel zu
groß, um schneller voranzukommen. In dieser beim Jahrtausendwechsel noch latenten Spannungssituation fehlte noch eine Erschütterung (Zündfunke oder Kristallisationskern), um jene in Ost und West organisatorisch zusammen zu bringen, denen die ganze Entwicklung
nicht passte: diese Erschütterung war die Abschaffung der D-Mark. Gegen diese Entscheidung gruppierte sich ein Häuflein Professoren, die eine „Alternative für Deutschland“ ausriefen.

 

Im Nachhinein erscheint es mir recht plausibel, dass die Internatio-

nalisierung der „heiligen“ D-Mark, die gerade im Osten so sehr herbeigesehnt worden war, ein mobilisierendes Ärgernis gerade für Menschen war, die die oben erwähnte Weltoffenheit nicht über Jahrzehnte eingeübt hatten. Nach einem Jahrzehnt deutscher Einheit war man gerade wieder Deutscher in einem großen Land geworden, und schon wurde einem das wieder genommen.


Obwohl die Einführung des EURO samt der Rettungspolitik gegenüber überschuldeten Staaten der zunächst einzige originelle Gründungsgedanke der AFD gewesen war, wäre er doch nicht attraktiv genug geworden, eine größere Bewegung in Gang zu setzen. Deshalb war ein zweiter Schlag in die Magengrube derjenigen nötig, denen die ganze liberale, weltoffene Entwicklung schon lange nicht passte: der Flüchtlingsstrom aus Bürgerkriegs- und Elendsregionen der nichteuropäischen
Welt.


Beide Entwicklungen zusammen, der EURO und die Flüchtlinge, ergaben erst die kritische Masse einer Bewegung, die groß genug war, viele andere Positionen anzuziehen: Hauptsache dabei ist die Gemeinsamkeit in der Ablehnung der nicht mitvollzogener Moderne liberaler Weltoffenheit. Da passt vieles dazu: die nicht überwundene Illusion einer eigentlich homogenen Volksgemeinschaft, rassistischer Abgrenzungswille und Überlegenheitsgefühle, Missdeutung der Nach-Kriegsordnung als Siegerjustiz und deutscher Unfreiheit, Homophobie und ein
unreflektiertes Rollenverständnis der Geschlechter mit einem Schuss „Männlichkeitskult“ (erklärend, warum die AFD erheblich mehr Zustimmung bei Männern als bei Frauen findet).


Ich habe hier nicht Islamophobie hinzugefügt, obwohl gerade die Einwanderung von Muslimen besondere Bedeutung für die Mobilisierung der AFD spielt; Pegida ist schließlich die Abkürzung für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Denn die mit dem Islam verbundenen Vorstellungen von Gesellschaft und Politik, von Sexualität und spezifische Rituale werden meines Erachtens von einer stattlichen Mehrheit unserer Gesellschaft abgelehnt, auch von mir.

Es gibt darüber hinaus noch AFD-Positionen, die eher aus dem Willen aufgenommen wurden, überall die Alternative sein zu wollen, etwa die Gegnerschaft zu Klimaschutz und Windenergie und die Befürwortung von Kohle- und Kernenergie.
Auch der Versuch, eine außenpolitische Alternative zu NATO und Westbindung zu formulieren und eine Achse mit Russland zu fordern, dürfte das Mobilisierungspotential kaum vergrößern. Allerdings passt diese Haltung gut zur Gegnerschaft gegenüber den westlichen Siegermächten und mobilisiert viele „Russland-Deutsche“.


Fazit: Die heutige AFD ist (noch?) keine nationalsozialistische Partei. Sie
steht gegen vieles, was die letzten Jahrzehnte an Modernisierung und Liberalität gebracht hat. Die Brüche der letzten Jahre, Luckes und Petrys Austritt, zeigen, dass die Partei noch sehr in programmatischer Bewegung ist; ein Sieg von Kräften faschistoider Denkungsart ist nicht ausgeschlossen. Sollte die Partei in naher Zukunft, etwa gar 2021 die Regierung stellen, muss man allerdings befürchten, dass sie wie die PIS in Polen anschließend den Staat entdemokratisieren würde; nicht auszu-schließen ist nach vielen Funktionärsäußerungen auch eine Beseitigung der Unabhängigkeit der Justiz im Sinne von „Volksgerichten“ und die
juristische Verfolgung von Andersdenkenden als „Verrätern“. Natürlich wäre das auch das Ende einer Europäischen Union.

 

Rezept einer Gegenstrategie: Die strategische Frage ist nun, wie man die
AFD behandeln soll. So wichtig Sozialpolitik zugunsten unterster Einkommensschichten ist, die Wähler der AFD haben kaum ein Armutsmotiv. Mir scheint, dass die demokratische Mehrheit selbstbewusst erklären muss, warum Weltoffenheit und Europäische Union lebenswichtig für Deutschland sind, dass es keine Souveränität mehr unterhalb so großer Einheiten wie EU gibt, wenn man nicht Spielball der ganz Großen wie China, USA, Russland im Chaos einer ungeordneten Welt werden will. Der traditionell fehlgeleitete „Stolz, ein Deutscher zu sein“ muss und kann umgeleitet werden in Stolz und Freude über die anerkannte Leistung Deutschlands auf wirtschaftlichem, kulturellem und humanitären Gebiet.
Umfragen der EU-Kommission zeigen immer wieder, wie beliebt und anerkannt die Deutschen im Ausland sind.

 

Die weiterhin zu erwartenden Provokationen seitens AFD-Funktionären sollten Politik und Medien ins Leere laufen lassen, nicht in den Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung lassen und eher unter „Vermischtes“ melden als im politischen Nachrichtenteil.


Wichtig ist auch die Schaffung eines russisch-sprachigen Fernseh-
Programms, denn die „Russland-Deutschen“ bevorzugen unter sich unverändert die russische Sprache und sehen schon aus Bequemlichkeit russisches Fernsehen mit all seinen anti-westlichen Propaganda-Lügen.
Wenn wir kein weiteres Anwachsen der AFD wollen, sondern ein allmähliches Abschmelzen, müssen wir allerdings beim Thema Zuwanderung und Islam mehr Rücksicht auf weit verbreitete Ablehnung nehmen, konkret: wir müssen im Zusammenspiel leider auch mit schlimmen Regimen den weiteren Zuzug aus Afrika und Asien drosseln und wir müssen unübersehbar die Werte unseres Grundgesetzes und der Menschenrechte auch gegenüber muslimischen Mitbürgern und
Gemeinschaften durchsetzen.

Dazu sind zwei Prinzipien neu zu fassen: das internationale Asylrecht muss ein Gnadenrecht des aufnehmenden Staates werden, das nur eingeschränkt im Rechtsweg eingeklagt werden kann.

Und die Religionsfreiheit darf Verstöße gegen andere Verfassungsgrundsätze nicht legitimieren.

 

Eine Überlegung von Gerd Eisenbeiß
Bonn, 1. Oktober 2017

Jessica Rosenthal - Politik aus Überzeugung - Für Bonn, für unser Land
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