Die Herrschaft des Volkes – das ist die Demokratie. Das Volk ist der Souverän. Und die von ihm gewählten Repräsentanten haben dem Souverän zu dienen. Soweit die Theorie. In der politischen Praxis stellt sich hingegen die Frage, wer zum Volk gehört. Für den Systemtheoretiker Niklas Luhmann ist das „Volk ein Konstrukt, mit dem die politische Theorie Geschlossenheit erreicht. Oder anders gesagt: wer würde es merken, wenn es gar kein Volk gäbe?“
Der Bonner Philosoph Prof. Dr. Martin Booms skizziert das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Volk. Insbesondere deshalb, weil wir seit dem Erstarken der AfD mit einem Volksbegriff konfrontiert werden, bei dem wir aufschrecken. Denn für die Rechtspopulisten gehört zum Volk nur, wer in Deutschland geboren wurde und dessen Eltern ebenfalls in Deutschland das Licht der Welt erblickt haben. Migranten gehören grundsätzlich nicht zum Volk, egal ob sie hier leben, arbeiten, Steuern zahlen und sich integriert haben.
Selbst das Wahlrecht gemäß unserem Grundgesetz grenzt viele Menschen aus. So haben z.B. Minderjährige unter 16 Jahren kein Wahlrecht, obwohl über ihr Leben und ihre Zukunft ständig politisch entschieden wird. Deshalb gibt es aktuell Forderungen aus der Politik, Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen. Oder z.B. Familien mit Kindern pro Kind eine zusätzliche Wahlstimme zu gewähren.
Für Martin Booms ist der Staatsbegriff des Volkes an die Moderne anzupassen. Wer sich bei uns integriert hat, sich an unsere Gesetze hält und auf dem Boden des Grundgesetzes lebt, gehört für ihn gleichfalls zum Volk, egal aus welchem Land er stammt und zugereist ist.
Für mich zeigt diese philosophisch-politische Begriffsdebatte deutlich, dass wir dringend umdenken müssen. Denn wenn Alexander Gauland (AfD) in die Mikrofone brüllt „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen“, muss die Demokratie Stärke und Widerstandsfähigkeit zeigen. Denn zum Volk gehöre nicht nur ich, sondern auch mein ursprünglich polnischer Nachbar oder mein ursprünglich türkischer Kollege.
Rainer Bohnet, 22.12.2017