Ortsverein Bonn-Holzlar-Hoholz
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Populismus 2019 - weltweit und in Deutschland

 

(mit einem Blick auf die Wahlen in Brandenburg und Sachsen)

von Gerd Eisenbeiß , 11. September 2019

 

Ein Gespenst geht um in der Welt: Populismus. Es ist nicht neu, aber konstant bedrohlich, wenn man aktuelle Erfolge solcher Bewegungen und Parteien sieht. In Deutschland war man lange besser gefeit gegen populistische Verführungen – wahrscheinlich wegen der deutschen Vergangenheit, die zumindest im Westen nachhaltig aufgearbeitet und überwunden schien.

 

Nun geben die Landtagswahlen in östlichen Bundesländern neuen Anlass, die Situation zu betrachten und zu deuten, ohne zu ignorieren, dass die AFD ja auch im Westen Wähler findet.

 

Weltweit sind die Erfolge von Personen und Parteien erschreckend und beeindruckend: von Indien über Italien bis USA genießen Strömungen breite Unterstützung, die hauptsächlich aus einigen wenigen Quellen gespeist werden. Auffälligste Gemeinsamkeit ist die Xenophobie, also die Mobilisierung von Bevölkerungen gegen Fremde oder auch Minderheiten. Zentral ist das Versprechen, gegen die Gefahr durch das Fremde zu schützen; daneben steht in der Regel eine Ablehnung der Zumutungen der Moderne, der Weltoffenheit und Veränderung[1].

 

Durchdachte Konzepte für die Zukunftsbewältigung fehlen in der Regel, als reiche die Rückbesinnung und Konzentration auf das Nationale und der Mythos vom eigentlich homogenen und klaren Volkswillen. Da, wo Populisten handeln müssen und können wie Donald Trump oder Boris Johnson, handeln sie nach vordergründigen, meist untauglichen Konzepten, die mehr ihrem Spaß am politischen Spiel und ihrer Eitelkeit dienen als den Interessen ihres Landes und einer Welt friedlichen Zusammenlebens.

 

Trump, Le Pen, Salvini, Orbán, Gauland etc – sie alle leben davon, das Fremde und vieles Neue zu dämonisieren; und sie leben gut davon. Wenn sie es wie Putin schaffen, die Freiheit der Medien und die Unabhängigkeit der Gerichte zu beseitigen, haben sie es zum Autokraten geschafft wie z.B. Erdogan. Aber genau das ist das Ziel, denn in ihnen soll sich ja jener mythische Volkswille in Reinform zeigen – ungestört von „parlamentarischen Schwatzbuden“, „Lügen-Journaille“ und uneinsichtigen „Paragraphenreitern“.

 

Diesen Populisten auf dem Weg zur Autokratie kommen 2 Trends der letzten Jahrzehnte entgegen: einerseits die immer komplexere Wirklichkeit, in der auch so einfache Dinge wie Umgang mit Natur oder Geld nicht mehr sind, was sie waren; und erst recht ist intransparent, wie Wirtschafts- und Sozialsystem funktionieren. Da mehr und mehr alles mit allem zusammenhängt, ist punktuelles Wissen und Verstehen immer unzulänglicher. So ist es ein leichtes, jedem das Gefühl zu vermitteln, er werde benachteiligt. Bewusst in die Welt gesetzte Lügen tun über die Internet-Verbreitung ein Übriges.

 

Auf der anderen Seite haben die Demokratien immer wieder dafür geworben, dass sich jeder Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten durch Meinung und Engagement beteiligen sollte. Dabei hat die Kompetenz der Bürger in vielen Fällen mit ihrer Aktivierung nicht Schritt gehalten. So wird gerade fehlgeleitetes Engagement oft von besonders lautem Geschrei unterstützt und von Gewaltphantasien und –planungen begleitet.

 

Vor diesem Hintergrund sind die Strategien der Populisten verständlich: man muss die seriösen Medien diffamieren, als „Lügenpresse“ unglaubwürdig machen, und andererseits den Menschen ein Lebensgefühl der Benachteiligung, der Manipulation und Unterdrückung suggerieren, damit Empörung gegen das „System“ entsteht, das von Argumenten und Wahrheiten nicht mehr erschüttert werden kann. Der arrogante Höhepunkt dieser Strategie war der Satz von den „alternativen Fakten“ einer Trump-Sprecherin.

 

Bemerkungen zum ehemaligen „Ostblock“ sowie besonderen AFD-Erfolgen

 

Die beiden Trends der Bürger-Aktivierung und der Komplexität sind weltweit zu beobachten; gleichwohl gibt es eine besondere Resonanz in den bis 1990 kommunistischen Regionen von der Elbe bis nach Russland. Dies dürfte eine Spätfolge der sowjetischen Unterdrückung sein. So haben die westlichen Länder viel länger mit der persönlichen Freiheit Erfahrung gemacht, die ja auch ein hohes Maß an insbesondere wirtschaftlicher Eigenverantwortung und sozialem Fortschritt beinhaltet.

Außerdem war die Weltoffenheit der westlichen Demokratien sowie insbesondere innerhalb der Europäischen Gemeinschaft bestens geeignet, die Angst vor dem Fremden und Neuen zu überwinden, mindestens wesentlich zu vermindern.

Trotz der sowjetischen „Völkerfreundschafts-Propaganda“ waren die Staaten des Warschauer Paktes strikt national abgegrenzt. Der innere Widerstand gegen die Unterdrückung wurde wesentlich gespeist aus nationalen Identitätsgefühlen sowie nationaler Religiosität, zumeist katholisch oder orthodox. Das sind nicht überraschend auch heute die ideologischen Quellen der polnischen und ungarischen Regierungen, wenn es gilt, die eigenen autokratischen Strategien gegen den Einfluss aus dem Westen abzusichern.

 

In den östlichen Bundesländern dürfte ein wesentlicher Punkt sein, dass insbesondere die SED-Nachfolgepartei PDS, heute die LINKE, über all die Jahre seit 1989 eine DDR-Identifikation wesentlicher Bevölkerungsteile aufrecht erhalten konnte – immer gespeist aus Minderwertigkeits- und Benachteiligungsgefühlen.

Dieser Partei ist es z.B. gelungen, die Folgen der DDR-Misswirtschaft der Treuhand und der Bonner Regierung anzulasten, die umfangreiche Hilfe aus dem Westen aber als unzureichend und daher ungerecht darzustellen. Als die Migrationskrise aus der biederen Anti-Euro-Partei AFD eine Anti-Einwanderungspartei gemacht hatte, trat diese das Ostidentitätserbe an, denn – siehe oben: - Xenophobie ist im ehemals sowjetischen Machtbereich wesentlich stärker verbreitet als im Westen . Dies wird deutlich, wenn man die Ergebnisse von AFD, NPD, DVU und LINKE[2] seit 2004 zusammenzählt:

 

2004

2009

2014

2019

Brandenburg

35%

31%

33%

34%

Sachsen

34%

26%

34%

39%

 

Das heißt, dass in Brandenburg und Sachsen die regionale Identitätsrolle von der LINKEN auf die AFD übergegangen ist; gleichzeitig hat die AFD die kleineren Rechtsaußen-Parteien DVU und NPD aufgesogen. Das dürfte die deutlich stärkere Position der AFD in den östlichen gegenüber den westlichen Bundesländern gut erklären, denn im Bundesdurchschnitt liegt die AFD unter 15%.

Neben der offensichtlich anderen Wirklichkeitswahrnehmung in einem Teil der ostdeutschen Bevölkerung ist bemerkenswert, dass die (Wort-)Führer der AFD fast alle aus dem Westen stammen: Gauland aus Hessen, Meuthen und Weidel aus Baden-Württemberg, Höcke und Renner aus Nordrhein-Westfalen, Kalbitz aus Bayern. Diese Personen nutzen also die Stimmung im Osten für ihre Karrieren aus, indem sie die Opfer- und Benachteiligten-Gefühle fördern.

 

Auch diese Betrachtung zeigt, dass es sich bei jenen 25 bis 30% AFD-Wählern in Sachsen und Brandenburg mehrheitlich nicht um Neo-Nazis handelt, dass aber das AFD-Angebot einer politisch alternativen Regionalidentität so attraktiv ist, dass eine Ausgrenzung rechtsradikaler Kräfte, etwa Höckes „Flügel“, nicht mehr gelingt. Da aber solche radikalen Kräfte in der Regel stärker engagiert und aktiv sind als die „Lauen“, haben sie gute Chancen, die AFD mehr und mehr zu prägen und zu übernehmen.

 

Welches Bild der bundesrepublikanischen Wirklichkeit und der asterix-artigen Heldenrolle der AFD dabei immer mehr vorherrscht, zeigt eine Rundmail vom 5. September 2019 von Martin E. Renner, MdB, dem AFD-Vorsitzenden in NRW:

„Auf der einen Seite die gesamte etablierte Beutegemeinschaft, bestehend aus den regierigen Parteien und den Medien, den Kirchen, den Institutionen, den Gewerkschaften. Und alle wiederum eskortiert von Heerscharen angeblicher Vertreter der Zivilgesellschaft, sozusagen die 'demokratische Vorzeigelarve' der Beutegemeinschaft. (..) Auf der anderen Seite wir, die Alternative für Deutschland. Angetreten, um exakt diese neo-feudalistischen Strukturen zu benennen und zu bekämpfen."

 

Dieser Mann war bis 2005 Mitglied der CDU wie Gauland und einige andere! Der Jargon dieser Rundmail dürfte exakt dem entsprechen, der in der Weimarer Zeit von den Nazis gegen das verhasste „System“ verwendet wurde; es ist die radikale Kampfansage an die bestehende demokratische Pluralität!

 

Wie früher die Kommunisten der sog. Volksdemokratien plakatieren AFD und Gesinnungsfreunde in anderen Ländern Begriffe wie Freiheit und wahre Demokratie. Es muss gelingen, die Wölfe von den Schafen zu trennen, also die noch wohlmeinenden „Alternativ-Deutschen“ zu überzeugen, dass sie Nazi-Wölfe heranzüchten, die sie eines Tages ebenso fressen werden wie uns, die Träger eines pluralistischen, demokratischen Rechtsstaates.

 

Mit Bert Brecht: „Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber!“
 

 

 

[1] Eine Rolle spielen dabei auch Themen wie Gleichberechtigung der Frau, sexuelle Selbstbestimmung und Toleranz, Opfer für Klimaschutz/Windenergie, Pflege der Erinnerung auch an nationale Schandtaten

[2] AFD und LINKE haben sicher auch Funktionäre, Mitglieder und Wähler, die keine Anti-Demokraten sind – weder im Osten noch im Westen

Jessica Rosenthal - Politik aus Überzeugung - Für Bonn, für unser Land
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