Gedanken zum moralischen Furor des Denkmalsturzes
Gerd Eisenbeiß , 7. Juli 2020
Mit selbstgerechtem Furor versuchen Menschen zurzeit ihre Moralvorstellungen an Denkmälern und der Vergangenheit
auszulassen.
Anlass ist die Ermordung von George Floyd in den USA, die verständliche Wut und Frust zur Explosion gebracht hat.
Rassismus ist in heutigen Gesellschaften in der Tat nicht mehr zu tolerieren.
Nachdem nun auch ein Kolumbus-Denkmal vom Sockel gestürzt wurde, frage ich mich, wo solche Empörung gerechtfertigt und wo nur albern ist. Schließlich ist die gesamte Menschheits-geschichte
übervoll von Rassismus und Gewalt. Dabei ist Diskriminierung und Gewalt gegen anders Aussehende nicht schlimmer als gegen Frauen, Andersdenkende, Andersgläubige oder anders
Liebende.
Solcher Gewalt sind aber praktisch alle früheren Generationen schuldig geworden; unsere eigenen Vorfahren waren vermutlich
mal Opfer und mal Täter. Insbesondere Sklaverei war auf allen Kontinenten selbstverständlich und geradezu eine normale Handelsbranche – vom Altertum auch im frühdemokratischen
Athen, im christlichen und islamischen Mittelalter, im vor-arabisierten Afrika, im vorkolumbianischen Amerika, im Kolonialismus der Chinesen, Mongolen, Türken, Araber und Europäer bis zu
verdeckten Formen in modernen Gesellschaften.
Statuen von Abenteurern und Eroberern wie Kolumbus erinnern sicher weniger an historische Gewaltexzesse als Schlösser, Kirchen und Moscheen. Alles niederreißen?
Wahrscheinlich gibt es wenige Bücher der „Weltliteratur“, in denen so offen zum Völkermord aufgerufen wird, wie die sog. Heiligen Bücher
großer Religionen1. Verbrennen?
Sind wir uns bewusst, welchem nicht nur kulturellen Völkermord frühere Menschen durch ihre Nachbarn ausgesetzt waren? Sind nicht überall
Nachbarn über Nachbarn hergefallen, wenn sie sich Sieges- und Beutechancen ausrechneten? Sind nicht alle existierenden Grenzen durch Gewalt fixiert worden, wo nicht Fürstenhochzeiten
Territorien zusammengeführt haben, ohne je die Bewohner zu fragen.
Allein die Eroberungen Roms vor 2000 Jahren haben keltische und germanische Völker nach blutigsten Eroberungszügen völlig romanisiert, in
weiten Teilen Europas die indigenen Sprachen ausgelöscht, die religiösen Traditionen gebrochen – insbesondere später durch das Christentum.
Parallel hat der arabische Islam die Völker von Mindanao
im Osten bis Senegal im Westen, von Bosnien im Norden bis hinunter nach Mozambique kulturell und religiös überfremdet.
(Wem der jeweilige Gott ein Territorium geschenkt hat, dem hat er gegenüber den bisherigen Bewohnern freie Hand gegeben.)
Gehört das nun alles vor einen Weltgerichtshof, um nach heutigen Wertmaßstäben abgeurteilt zu werden. Die Logik des derzeitigen
Furors
wäre dann auch, über Entschädigung der Nachkommen der Opfer durch die Nachkommen der Täter zu verhandeln, wie es unverzagt Herero-Aktivisten und Jaroslaw Kaczynski gegenüber Deutschland
versuchen
(Mir ist bisher nicht gelungen, einen Fall (Herero) solcher historisch begründeter Geldforderungen gegenüber einer anderen früheren Kolonialmacht zu finden, obwohl deren ebenso grausame Kolonial-herrschaft erst vor 30- 60 Jahren endete, die deutsche dagegen vor 115 Jahren. „Wiedergutmachung“ ist offenbar ein ausschließlich deutsches Wort.)
Auf einer Gedenksäule auf dem Siegburger Marktplatz steht, dass Gott auf unserer Seite war, als wir Frankreich 1871 geschlagen haben. Das ist nicht nur dumm und arrogant, es ist einfach lächerlich. Weg damit?
Wie viele Bismarcktürme, -straßen und –plätze gibt es, wo Bismarck doch für das Elend der Arbeiterklasse stand, 1870 Kriegstreiber
war und überdies den deutschen Kolonialismus gefördert hat. Alles umbenennen?
Viele Universitäten tragen den Namen ihrer fürstlichen Gründer, also von völlig undemokratisch über Volkvermögen waltenden
Herrschern, die bei der Sicherung ihrer Herrschaft in der Regel Menschenrechte nicht beachtet haben. Diese Fürsten lebten in Sausundbraus, während ihre Untertanen in Armut vegetierten. Darf so eine
Universität benannt bleiben?
Und unsere Geistesgrößen wie Luther, Kant, Goethe, Beethoven und viele andere mehr; wissen wir zuverlässig, dass sie nach dem
vorweggenom-menen Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben, unsere Brüder und Schwestern in anderen Kontinenten als gleichwertig sahen und harmonisch mit Juden und Zigeunern (ja sie
verwendeten dieses Wort!) zusammen lebten?
Solcher Furor nervt – wie wahrscheinlich auch dieser Text, dessen Zweck es ist, zum Einhalten und Nachdenken aufzurufen. Es ist doch
sinnlos und keineswegs friedensstiftend, die Vergangenheiten moralisch oder gar juristisch nach heutigen Grundsätzen aufarbeiten und aburteilen zu wollen.
Heutiges Unrecht, fortbestehende Diskriminierungen müssen bekämpft werden, Demonstrationen und Proteste sind absolut gerechtfertigt.
Aber die Taten lang vergangener Generationen sind Geschichte und kein Grund für Rabatz.
Wer heute in Deutschland lebt (und schon gar nicht jene 25% deutscher Staatsbürger mit nicht-deutschen Vorfahren), ist weder am
deutschen Kolonialismus schuld, noch schuldet er deshalb jemandem aus Namibia mehr als jene mitmenschliche Solidarität, die er allen schuldet, die im Elend leben und auf Hilfe angewiesen sind – dabei
auch finanzielle Hilfe, über deren Höhe und Art man streiten darf.