Überlegungen von Gerd Eisenbeiß, 1. Juli 2018
Eine Vorbemerkung zum Begriff der „Dummheit“, schon weil man meinen könnte, hier wolle sich jemand elitär von der „dummen Masse“ abheben. Das wäre ein Missverständnis. Gemeint ist, dass wir alle partiell dumm, nur teilinformiert und nur in engen Kompetenzfeldern sicher im Urteil sind. Auf den meisten Feldern unseres privaten, gesellschaftlichen und politischen Lebens sind wir dumm und gründen unsere Urteile auf Vertrauen in andere Personen, Organisationen und Institutionen. Deshalb ist für eine funktionierende Demokratie so wichtig, dass Staat und Gesellschaft für vertrauenswürdige Quellen von Fakten und Analysen sorgen, also für eine freie, wettbewerbliche Medienlandschaft, Weltoffenheit und letztlich unabhängige Gerichte.
Wie „dumm“ wir wirklich sind, kann man leicht am Erfolg der Werbung ablesen: wenn bekannte Fußballer oder Schauspieler ein Produkt empfehlen, von dem sie sicher nichts verstehen, führt dies regelmäßig zu erheblichen Umsatzsteigerungen; sie erhalten dafür viel Geld, was ebenfalls beweist, dass auch die werbenden Unternehmen um die Dummheit der Bürger wissen und sie als Geschäftsgrundlage nutzen. Dazu beschäftigen sie hochkreative und intelligente Mitarbeiter, die diese Dummheit genau verstehen und auszunutzen verstehen. Zusätzlich ist in den „sozialen Medien“ ist ein ganz neuer Typ von Werbern entstanden, die „Influencer“, deren ungekrönte Königin Kim Kardashian zu sein scheint.
Jahrelang habe ich erfreut mitgezählt, wie die Demokratie als Prinzip der Staatsordnung Fortschritte machte; da war der Sturz der Faschisten auf der iberischen Halbinsel und der Diktatoren in Latein-Amerika sowie die Etablierung allgemeiner Wahlen in den meisten Staaten auch Afrikas und Asiens. Die Menschheit schien auf einem irreversiblen Weg zu demokratischer Rechtsstaatlichkeit, stabilisiert durch ein immer dichteres System von internationalen Verträgen und Organisationen, die sich zu Menschenrechten, Freiheit und auch Umweltschutz bekannten. Diese Tendenz ist gebrochen! Ist Demokratie nicht in sich stabil? Was läuft falsch?
Manche meinen achselzuckend, Demokratie funktioniere halt nur mit gebildeten Bürgern. Wäre das richtig, wäre Demokratie erst am Sankt-Nimmerleinstag möglich.
Demokratie entscheidet durch festgestellte Mehrheit - sei es durch Parteienmehrheiten in gewählten Parlamenten, sei es in einzelnen Sachfragen durch Volksabstimmungen. Bei Parlaments-Wahlen einer repräsentativen Demokratie wählt man Mitbürger und –innen, die sich einarbeiten können und in der Regel auch wollen, die die wesentlich Betroffenen einer Entscheidung anhören und im Rahmen ihrer Fraktionen, Koalitionen und insbesondere den fachkundigen Beamten Zusammenhänge mit anderen Politikfeldern beachten – insbesondere die Rückwirkungen auf die Budgets[1].
Wir beobachten nun, dass sich auch in repräsentativen Demokratien mit regelmäßigen Wahlen machtgierige Polit-Bosse die „Dummheit“ der Allgemeinheit skrupellos zunutze machen können, indem sie unhaltbare Versprechungen machen, Lügen verbreiten und Hass säen! Haben sie, wie die Nazis 1933 auch ohne Mehrheit, Zugriff auf die Macht, beseitigen sie die eingangs genannten Voraussetzungen[2], also insbesondere die freie, wettbewerbliche Medienlandschaft, Weltoffenheit und letztlich unabhängige Gerichte. Oft, ja zumeist kommt ein übersteigerter Nationalismus hinzu, der dem Ziel dient, Regierung und Staat zu einer Identität zu machen, so dass Opposition als unpatriotisch oder gar als Verrat denunziert werden kann.
Diese verhängnisvolle Entwicklung haben wir in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl in Russland als auch in Polen, Ungarn und der Türkei beobachten können, in Trumps USA sieht man zumindest schon einige dieser Instrumente in Anwendung. Ob auch Italien und Österreich diesen Weg gehen werden, ist noch unklar, aber möglich. Sollte Macrons Weg der liberalen Mitte in Frankreich nicht Erfolge bringen, könnte auch dieses Kernland Europas die demokratische Wertegemeinschaft verlassen. Selbst in Deutschland sind die Wahlergebnisse der AFD ein Menetekel an der Wand. Der schlimmste Verlust in der Wirklichkeit unserer „westlichen“ Welt ist der Verlust an Anständigkeit und die Tatsache, dass man als Lügner und Mensch ohne Anstand nicht mehr unten durch ist, sondern sogar Trendsetter wird und hohe Zustimmungswerte erhält.
Trotz dieser sehr traurigen Entwicklungen hat die Demokratie Zukunft – sogar als allgemeine Grundlage der Weltgesellschaft, denn die Menschen wollen letztlich keine Unterdrückung sondern Freiheit. Demokratische Gesellschaften müssen mit ihren Ergebnissen für die Menschen und einen gesunden Planeten überzeugen. Und dazu braucht es Konsens über zu ächtendes Fehlverhalten der Demokratiegefährdung.
Zu ächten von Medien, Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, auch Künstlern, Fußballern und Schauspielern sind:
Es geht also um Ehrlichkeit und Fairness im demokratischen Wettbewerb um Wählerstimmen. Unabhängige Medien müssen informieren und kontrollieren können und eine von der Regierung unabhängige Justiz muss Rechtsverstöße ahnden können.
Langfristig geht es aber auch um Bildung, nicht nur um Ausbildung für wirtschaftlich erfolgreiche Berufswege, sondern um die Erziehung von Generationen „anständiger“ Menschen, die die oben genannten Tugenden für wichtig halten und im täglichen Leben anwenden.
[1] Bei Volksabstimmungen zu einzelnen Sachfragen ist das allgemeine Defizit an Kenntnissen und Verständnis von Zusammenhängen wesentlich folgenschwerer; in der Regel wird dabei die Sachfrage mit sachfremden Machtfragen vermischt und damit die Grundidee ruiniert, eine Sachfrage nach dem „Willen des Volkes“ zu regeln.
[2] Mussolini wird der Satz zugeschrieben, er wisse, wie man Demokratie beseitige, nämlich wie man ein Huhn rupft – Feder für Feder.